Немецкий перевод

BERNER PHYSIOLOGUS

Burgerbibliothek Bern, Cod. 318, auf dem Schweizer Handschriftenportal e-codices mit freundlicher Erlaubnis der Burgerbibliothek Bern. Übersetzung aus: von Steiger, Christoph/ Homburger, Otto: Physiologus Bernensis. Voll-Faksimile-Ausgabe des Codex Bongarsianus 318 der Burgerbibliothek Bern. Basel, Alkuin-Verlag, 1964.

 

Vom Löwen

(fol. 7r)   Der Löwe ist der König aller Lebewesen und Tiere.
Darum sagte auch Jakob, als er den Juda segnete:
Junger Löwe Juda, mein Sohn etc. [1. Mose 49,9].
Der Physiologus erzählt vom Löwen, dass er drei Eigenarten habe.
Die erste Eigenart des Löwen ist diese:
(fol. 7v)   Wenn er umhergeht und seinen Weg in die Berge nimmt,
so kommt ihm die Witterung der Jäger, und da verwischt er mit dem Schwanze seine Spuren, damit nicht die Jäger seinen Spuren folgen und seine Lagerstatt finden und ihn überfallen.
So auch mein Heiland, von dem gesagt ist: Es hat überwunden der Löwe vom Stamme Juda, die Wurzel Davids [Offenb. 5,5].
Gesandt vom ewigen Vater, verbarg er seine wahrnehmbaren Spuren, das heisst seine Gottheit. Mit den Engeln war er Engel, mit den Thronen Thron, mit den Mächten Macht, bis dass er herabstieg in den Schoss der Mutter Maria, damit er das verirrte Menschengeschlecht errette.
Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns [Joh. 1,14].
Und darum sagten alle, die ihn nicht als den Herabgestiegenen erkannten: Wer ist dieser König der Ehren? [Psalm 24,8].
(fol. 8r)   Die zweite Eigenart des Löwen ist so:
Wenn er schläft, so wacht er doch, seine Augen bleiben offen. Im Hohen Lied bekundet und sagt [Salomo]: Ich schlafe, aber mein Herz wacht [Hohesl. 5,2]. Denn es schläft noch schlummert nicht, der behütet Israel [Psalm 121,4].
Die dritte Eigenart des Löwen ist so:
Wenn die Löwin gebärt, so wirft sie ein totes Junges, und es hütet die Löwin ihren Sohn, bis dass am dritten Tage der Vater kommt und ihm ins Gesicht bläst und ihn erweckt.
So hat auch der allmächtige Vater aller Dinge den Erstgeborenen aller Kreatur [Kol. 1,15], den Herrn Jesus Christus, am dritten Tage (fol. 8v)   auferweckt von den Toten.
Wohlgesprochen hat Jakob: Junger Löwe (Juda) – wer wird (will) ihn wecken? [1. Mose 49,9].
 

Von der Natur der Sonneneidechse

Es gibt ein Tier, das wird Sonneneidechse genannt.
Der Physiologus hat gesagt: Wenn sie altert, werden ihre beiden Augen getrübt, und sie wird blind und sieht das Sonnenlicht nicht mehr.
Was nun tut sie nach ihrer Eigenart?
Sie sucht eine Mauer und schlüpft in eine Mauerritze, die gegen Osten gewandt ist, und durch den Sonnenaufgang werden ihr die Augen wieder geöffnet.
Auf dass nicht dereinst die Augen deines Herzens getrübt werden, suche den, der die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen lässt, den Herrn Jesus Christus, dessen Name Aufgang geheissen wird vom Propheten [vgl. Mal. 3,20; Sach. 6,12; Lukas 1,78], und diese Sonne der Gerechtigkeit wird dir die verständigen Augen des Herzens öffnen.
 

(fol. 9r)   Von der Natur des Vogels, der Regenpfeifer genannt wird.

Wie im Deuteronomium geschrieben steht [5. Mose 14,18]
Der Physiologus erzählt von ihm, dass er ganz weiss sei und nichts Schwarzes an ihm. Sein innerer Kot heilt diejenigen, deren Augen schwach sind, und er ist an den Höfen der Könige zu finden. Und wenn jemand krank ist, so erkennt man durch den Regenpfeifer, ob er leben oder sterben wird. Wenn die Krankheit des Menschen zum Tode ist, so wendet der Regenpfeifer sein Gesicht ab, und alle erkennen, dass er sterben wird. Wenn aber die Krankheit des Menschen zum Leben ist, so blickt der Regenpfeifer ihn an und der Kranke den Regenpfeifer, und dieser saugt die Krankheit des Menschen auf und versprengt sie, und (so) wird gerettet derjenige, welcher darniederlag.
Dieser Regenpfeifer ist gleich wie mein gutes Sinnbild des Heilandes aufzufassen. Denn ganz weiss ist unser Herr und hat keinerlei Schwärze an sich. Denn er hat gesagt, dass der Fürst dieser Welt kommt [Joh. 14,30]. Von den Höhen der heiligen Himmel kommend, wandte er seine Gottheit von den Juden ab.
Er kam aber zu den Heiden, nahm die Krankheiten von uns weg und trug (unsere) Schwächen [Jes. 53,4; Matth. 8,17], und wurde erhöht zum Kreuze. Auffahrend in die Höhe hat er das Gefängnis gefangen genommen (und) hat den Menschen Gaben gegeben [Psalm 68,19; Eph. 4,8].
Wohlgesprochen hat also der Physiologus vom Regenpfeifer. Aber sage mir, da doch der Regenpfeifer unrein ist [5. Mose 14,18], dass er ihn doch in das Bild Christin überträgt?
Auch die Schlange ist unrein [5. Mose 14,19]. Johannes sagt: So wie Moses in der Wüste eine Schlange erhöht hat, also muss des Menschen Sohn erhöht werden [Joh. 3,14].
[Und es ist gesagt:]
Sie ist klüger [vgl. Matth.10,16]. Von doppelter Art nämlich, löblich und tadelig, ist alle Kreatur.

(fol. 9v   [Vom Pelikan]

Von der Natur der Tiere und des Nachtraben hat David wohlgesprochen: Ich bin wie der Pelikan in der Wüste und wie der Nachtrabe im Schlosse [Psalm 102,7].
Der Physiologus erzählt vom Pelikan, dass er seine Kinder überaus lieb habe. Wenn er aber die Jungen zur Welt gebracht hat und sie gewachsen sind, hacken sie den Eltern ins Gesicht. Die Eltern aber schlagen und töten sie.
Darauf trauern die Eltern, von Mitleid bewegt, drei Tage lang um die Kinder, die sie getötet haben. Am dritten Tage kommt ihr Vater [im griechischen Physiologus und in den anderen lateinischen Versionen (B und Y) ist es die Mutter] und reisst sich die Flanke auf und träufelt sein Blut über die toten Körper der Jungen, und durch eben dieses Blut erweckt er sie von den Toten.
(fol. 10r)   So sagt auch unser Herr durch Jesajas: Ich habe Kinder erzeugt und erhöht, sie aber haben mich verlassen [Jes. 1,2]. Unser Meister hat uns erzeugt, und wir haben ihn geschlagen.
Wie haben wir ihn geschlagen?
Wir haben dem Geschöpfe mehr als dem Schöpfer gedient [Röm. 1,25]. Es kam aber unser Heiland zur Erhöhung des Kreuzes, und er öffnete seine Seite und vergoss Blut und Wasser zum Heile und zum ewigen Leben.
Das Blut, weswegen gesagt ist: Er nahm den Kelch und dankte (segnete) [Matth. 26,27-28; Lukas 22,17-20]. Das Wasser aber wegen der Taufe zur Busse [Mark. 1,4; Lukas 3,3].
Wohlgesprochen hat der Physiologus vom Pelikan.
 

Von den Nachtraben

Der Physiologus hat gesagt: Es ist ein Vogel, der die Nacht lieber hat als den Tag.
Unser Herr Jesus Christus hat uns geliebt, die wir in Finsternissen sassen und im Schatten des To9des [Jes. 9,2; Matth. 4,16; Lukas 1,79], das Volk der Heiden über das Volk der Juden, die damals die Kindschaft und die Verheissung der Väter gehabt haben. Deswegen sagt auch der Heiland: Fürchte dich nicht, du kleine Schar, da es doch Gott gefällt [Lukas 12,32].
Doch sage (sagst du) mir, dass doch der Nachtrabe unrein sei nach dem Gesetz [5. Mose 4,16].
Darum sagt der Apostel vom Heiland: Er wusste von keiner Sünde; er hat keine Sünde begangen, als er sich erniedrigte, um uns zu erhöhen [2. Kor. 5,21 und 11,7].
Wohl berichtet also der Physiologus von den Nachtraben.
 

(fol. 10v)   Von der Natur des Adlers

David spricht: Deine Jugend wird erneuert werden wie die des Adlers [Psalm 103,5].
Der Physiologus hat vom Adler gesagt: Wenn er altert, so werden seine Flügel schwer und seine Augen trübe. Was also tut er? Er sucht eine Quelle reinen Wassers und fliegt in den Dunstkreis der Sonne, breitet seine Flügel aus [in den Versionen B und Y verbrennt der Adler seine alten Flügel in der Sonnenhitze] und lässt sich herab zur Wasserquelle.
Er taucht dreimal unter und steigt auf, die Schwäche seiner Augen abwerfend, und wird erneuert und (wieder) jung.
So auch du, wenn du das alte Gewand trägst und deine Augen trübe sind, suche die geistlichen Quelle, das Wort Gottes, der gesagt hat:
Mich habe sie verlassen, die lebendige Wasserquelle [Jer. 2,13], und fliege in die Höhe der Sonne der Gerechtigkeit Jesus Christus, der dir auszieht das alte Gewand des Teufels, und lasse dich taufen in der ewigen Quelle, im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes [Matth. 28,18].
Darum also spricht David: Deine Jugend wird erneuert werden wie die des Adlers.
 

(fol. 11r)   Von der Natur des Vogels, der Wiedehopf genannt wird

Wohl steht geschrieben: Wer seinen Vater oder seine Mutter verflucht, der soll des Todes sterben [2. Mose 21,17]. Wie mag es auch solche geben, die Vatermörder und Muttermörder sind?
Der auf lateinisch Yppopus genannt wird: Wenn dessen Kinder sehen, dass ihre Eltern alt werden, zupfen sie die alten Federn der Eltern aus und lecken ihre Augen und erwärmen ihre Eltern, und sie werden wieder jung.
Wie mag es unverständige Menschen geben, die ihre Eltern nicht lieben?
Wohlgesprochen hat der Physiologus vom Wiedehopf.
 

(fol. 11v)   Von der Natur der Viper

Wohlgesprochen hat Johannes zu den Pharisäern: Ihr Schlangenbrut, wer hat euch gesagt, dem künftigen Zorn zun entfliehen? [Matth. 3,7; Lukas 3,7].
Der Physiologus lehrt von der Viper, dass sie das Gesicht eines Mannes hat (die weibliche einer Frau) bis zum Nabel, und bis zum Schwanze hat sie die Gestalt eines Krokodils. Das Weibchen hat keine Scheide im Schoss, sondern (nur) wie ein Nadelöhr. Und wenn das Männchen mit dem Weibchen zeugt, so ergiesst es seinen Samen in den Mund des Weibchens, und wenn das Weibchen den Samen schluckt, beisst es die Geschlechtsteile des Männchens ab, und das Männchen stirbt auf der Stelle. Wenn aber die Jungen wachsen, so fressen sie den Bauch der Mutter, und so kommen sie heraus als Vatermörder und Muttermörder.
Gut also hat Johannes die Pharisäer mit der Viper verglichen, denn wie die Viper Vater und Mutter tötet, so haben die Pharisäer ihre geistlichen Eltern, die Propheten, und unseren Heiland Jesus Christus und die Kirchen getötet. Wie also könnten sie dem künftigen Zorn entfliehen? Vater und Mutter werden zwar leben in Ewigkeit, sie aber sind gestorben.
 

Von der zweiten Natur der Schlange

Der Herr sagt im Evangelium: Darum seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben [Matth.10,16].
(fol. 12r)   Wohl erzählt der Physiologus darüber, dass die Schlange vier Eigenarten hat.
Dies ist die eine Eigenart der Schlange: Wenn sie altert, werden ihre Augen trübe, und wenn sie wieder jung werden will, so enthält sie sich und fastet vierzig Tage und Nächte, bis dass ihre Haut schlaff wird. Dann sucht sie einen Felsen und eine enge Spalte, und da zwängt sie sich hindurch und presst ihren Leib und streift die alte Haut ab und wird wieder jung.
So muss auch der Mensch, wenn er diese höchst kluge Schlange annehmen und die alte Haut dieser Welt ablegen will, durch die enge und schmale Pforte gehen, zuvor aber den Leib durch Fasten kasteien.
Denn eng ist der Weg und mühselig, der zum ewigen Leben führt [Matth. 7,14].
 

Von der dritten Natur der Schlange

Wenn sie kommt, um Wasser aus der Quelle zu trinken, so bringt sie ihr Gift nicht mit, sondern lässt es in ihrer Grube oder Höhle zurück.
So müssen auch wir,, wenn wir zum ewigen Leben eilen, welches voll ist von göttlichen und himmlischen Worten, in der Kirche das Gift der Schlechtigkeit, das heisst die sündhaften Begierden, nicht mit uns tragen, sondern als höchst  Vollkommene hinzutreten [vgl. Matth. 5,48].
 

(fol. 12v)   Von der vierten Natur der Schlange

Wenn ein Mensch kommt und sie töten will, so gibt sie den ganzen Körper preis, den Kopf aber schützt sie.
So müssen auch wir in Zeiten der Versuchung den ganzen Leib ausliefern, das Haupt aber bewahren, das heisst Christum nicht verleugnen, wie auch die heiligen Märtyrer getan haben.
Denn eines jeden Mannes Haupt ist Christus [1. Kor. 11,3].
 

Von der Natur der Ameise

Wenn sie den Weizen in der Erde verwahrt, spaltet sie die Körner in zwei Teile, damit sie nicht etwa der Winter erfasse und der Regen befeuchte und die Körner keimen und sie (die Ameise) vor Hunger sterbe.
So trenne auch du die Worte des Alten Testamentes vom geistlichen Verständnis, damit dich nicht dereinst der Buchstabe töte [2. Kor. 3,6]. Paulus hat gesagt, dass das Gesetz geistlich ist [Röm. 7,14].
Die Juden nämlich, die nur dem Fleischlichen [d.h. Buchstäblichen] zugewandt waren, sind vor Hunger zu Grunde gegangen und sind zu Mördern an den Propheten geworden.
 

Von der zweiten Natur der Ameise

Oft geht sie über Feld und klettert hinauf zur Ähre und holt Körner herab; bevor sie aber hiauf steigt, riecht sie unten an der Ähre, und (fol. 13r)   vom starken Geruch weiss sie, ob es Weizen ist oder Gerste. Wenn es Gerste ist, lässt sie es sein und geht auf den Weizen – denn die Gerste ist nur Viehfutter – und nimmt den Weizen, um ihn in die Vorratskammer zu legen [vgl. Hiob 31,40].
Die Gerste nämlich wird der irrigen Lehre verglichen, der Weizen aber dem rechten geistlichen Glauben.
 

Von der kleinen Ameise

(Der Text ist hier so verderbt, dass er wiedergegeben wird aus dem griechischen Physiologus und den lat. Versionen B und Y.)
Salomon spricht: Gehe hin zu der Ameise, du Fauler; siehe ihre Weise an und lerne. Ob sie wohl keinen Fürsten noch Hauptmann noch Herrn hat, bereitet sie doch ihr Brot im Sommer und sammelt ihre Speise in der Ernte [Sprüche 6, 6-8].
Wenn die Ameisen Vorräte sammeln, so ziehen sie in geordneter Reihe aus. Diejenigen aber, die noch nichts haben, erbetteln oder rauben nichts von denjenigen, die schon ein Weizenkorn im Maule tragen, sondern suchen sich selber etwas.
(Daran knüpft der Physiologus als Deutung das Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen (Matth. 25, 1-13).
 

(fol. 13v)   Von der Natur der Sirene und des Kentauren

[onocentauri = „Eselskentauren“; übertragen auch „unreine Dämonen“ (vgl. Jes. 34,14)]

Der Prophet Jesajas hat so gesprochen: Sirenen und Kentauren und Igel werden da tanzen [vgl. Jes. 13, 21-22 und 34, 14-15].
Der Physiologus hat so gesprochen: Die Sirenen, sagt er, sind todbringend und rufen im Meere mit verschiedenen Stimmen, um die Seefahrer, wenn sie es hören, zu verführen. (fol. 14r)   Vom Kopfe bis zum Nabel hat sie Menschengestalt, aber unten bis zum Schwanze ist sie ein Vogel. Ähnlich auch der Kentaur: Ein Teil des Körpers ist menschlich, der andere Teil gleicht dem Esel.
Diesen nun werden die Männer verglichen, die doppelten Herzens sind, indem sie den Anschein der Frömmigkeit haben, jedoch die Person ansehen [vgl. Jak. 2,9] und die Gestalt von Widersachern und Ketzern haben. Denn durch ihre süssen Reden verführen sie, wie die Sirene, die Herzen der Unschuldigen [Röm. 16,18].
 

Von der Natur des Igels

Der Igel hat ganz stachlige Gestalt und ist ganz voll von Stacheln.
Der Physiologus sagt von ihm:
Zur Zeit der Weinlese besteigt er den Rebstock und geht auf die Traube und wirft die Beeren zur Erde und steigt herab und wälzt sich auf den Beeren, und sie haften auf seinen Stacheln und er bringt sein seinen Jungen und lässt den Traubenkamm leer zurück.
Auch du Christ, wenn du ein Rebstock Gottes bist, bewahre dich also, (fol. 14v)   dass nicht der Igel, das heisst der Teufel, über dich komme, dass er nicht deinen guten Weinstock verderbe und seinen Jungen, das heisst Abgöttern und bösen Mächten, vorwerfe und deinen Traubenkamm leer zurücklasse.
Denn wenn du deine Traube bewahrst, dann kannst du in die geistliche Kelter gelangen, auf dass du in den Keller gelegt werdest, das heisst in die Hallen des Königs Christus, die den guten Wein in der Fröhlichkeit des menschlichen Herzens darbieten können [vgl. Hoheslied 1,5; Joh. 15,1].
 

Von der Natur des Fuchses

Das ist ein listiges Tier auf diese Art: Wenn sie [d.h. die Füchsin] Hunger hat und nichts zum Fressen findet, dann sucht sie eine Erdspalte und wirft sich hinein, rücklings nach oben gewandt, und hält gänzlich den Atem an, und dann glauben die Vögel, dass sie tot sei, und fliegen herab, um sie zu verschlingen. Jene aber springt plötzlich auf und fängt und frisst sie.
Diesem ist der Teufel zu vergleichen; er ist listig in all seinem Tun. Wer also von seinen Fleischlichkeiten, das heisst von seinem Treiben einnehmen will [sich einnehmen (oder einfangen) lässt], wird auf der Stelle sterben.
Denn auch der Heiland spricht so von Herodes, dem Sohne Herodes‘ des Teufels: (fol. 15r)   Und saget diesem Fuchs… [Lukas 13,32]. Und im Hohen Lied heisst es: Fangt uns die Füchse, die den Weinberg verderben [Hohesl. 2,15]; und David hat gesagt: Die Füchse haben sie verschleppt [Psalm 63,11?].
 

Vom Tiere, das Panther genannt wird

So spricht der Prophet: Ich bin wie ein Panther geworden im Hause Ephraim [vgl. Hosea 5,14].
Der Physiologus bezeugt solches vom Panther: Seine Natur ist so beschaffen, dass er aller Tiere Freund ist, feindlich ist er nur dem Drachen. Sein Aussehen ist bunt wie der Leibrock des Joseph [1. Mose 37,3], und er ist auch ganz gesprenkelt. Er ist ein schweigsames Tier und sehr sanft. Wenn er aber gefressen hat und satt ist, schläft er in seiner Höhle, und am dritten Tag erhebt er sich vom Schlafe, und wenn er aufsteht von seinem Platze und hinaus geht, brüllt er mit mächtiger Stimme, (fol. 15v) und von seiner Stimme geht würzige Süsse [genau: die Süssigkeit von Gewürzen] aus, und die nah und fern sind von ihm, folgen der Stimme, wenn sie diese hören, um von ihrem Dufte erfüllt zu werden.
So ist auch mein Heiland Jesus Christus am dritten Tage wieder auferstanden von den Toten und hat alle, die nahe und ferne sind, wie der Apostel gesagt hat [Eph. 2,17], erfüllt mit der Süsse des Glaubens.
Bunt aber ist er darin, dass er in mannigfacher Gestalt [oder auch: auf vielfältige Art ] die Völker der Erde gewonnen hat, ist er doch ein Turm der Stärke, des Friedens, des Erbarmens und der Tugend und der Ehren.
Den alten Drachen aber verfolgt er [d.h. der Panther], wie der Herr den mächtigen Teufel (verfolgt); denn nichts hat uns die Heilige Schrift ohne Gleichnis gesagt.

 

Von dem grossen Walfisch

Es gibt im Meere einen Walfisch Aspidohelune [eigentlich: die Schildkröte], der hat zwei Eigenschaften, die erste ist diese:
Wenn er Hunger hat, öffnet er sein Maul, und da geht ein sehr starker Duft aus von seinem Maule, und der ist so süss, dass die kleinen Fische angezogen werden und seiner Süsse folgen und sich alle in seinem Maul sammeln, und wenn es voll ist, so schliesst er sein Maul über allen Fischen und verschluckt sie.
Die grossen und erwachsenen Fische aber nähern sich seinem Maule nicht.
 

(fol. 16r)   Von der zweiten Natur des Fisches

Weil von ihm sich so viel zeigt wie von einem Stück Insel, so nehmen die Seefahrer an, dass es eine Insel sei, und machen nach stürmischem Wetter ihre Schiffe daran fest. Wenn sie aber darauf Feuer anzünden, um zu kochen oder sich zu wärmen, dann taucht er hinab in die Tiefe und zieht alle angebundenen Schiffe hinter sich her.
Diesem Tiere wird das buhlerische Weib verglichen, von dem Salomo sagt: Denn Honig trieft von den Lippen der Hure, die ihre Kehle übermässig salbt, danach aber bitterer erfunden wird als Galle und schärfer als ein zweischneidiges Schwert (fol. 16v)   und den Sünder in Finsternisse hinabzieht. [Sprüche 5,3-5].
Die Vollkommenen aber und die Vorsichtigen nähern sich ihr nicht, wie Joseph war beim ägyptischen Weibe [1. Mose 39,7], wie Elias, als ihn Isebel beschuldigte [1. Könige 19,1-2], wie Susanna inmitten der Greise [„Geschichte von Susanna und Daniel“, apokryph]
Wohl wird also das Weib diesem Fische verglichen.
 

Vom Einhorn

So heisst es im Psalme: Mein Horn wird erhöht werden wie das des Einhorns [Psalm 92,11].
Der Physiologus sagt von ihm, dass es ein kleines Tier sei. Es ist aber ein Tier, ähnlich einem Böcklein, und ist ganz sanft [dies ist ein offensichtlicher Widerspruch zum Folgenden: im griechischen Physiologus und in der lateinischen Version B ist das Einhorn ursprünglich „von sehr scharfem Mute“], und hat ein Horn auf dem Kopfe; aber der Jäger kann sich ihm nicht nähern, weil er ein so überaus starkes Horn hat. Wenn es aber im Dreischritt [im Dreitakt tanzend] dahinrennt, wird es auf diese Weise gefangen:
(fol. 17r)   Man legt ihm eine ganz keusche Jungfrau in den Weg, und sobald es die Jungfrau sieht, kommt es sogleich ganz zahm und lagert sich in ihrem Schoss. Und wenn es sich da erwärmt hat, bringt sie es eilends an den Hof des Königs. Denn kein Jäger vermag es zu fangen.
So ist auch unser Heiland, von dem der Prophet sagt: Er hat uns aufgerichtet ein Horn des Heils in dem Hause Davids [Lukas 1,69]. Denn als er in der Welt erschien, vermochten ihm keine Könige und keine bösen Mächte zu schaden, als das Wort Fleisch ward und unter uns wohnte [Joh. 1,14].
 

(fol. 17r)   Vom Hirsch

Der Physiologus sagt, dass er ein Feind ist des Drachen und ihn verfolgt und ihn töten will. Wenn nun der Drache vor ihm flieht und sich in den Klüften versteckt, dann geht der Hirsch geschwind zur Quelle und füllt sich den Bauch mit vielem Wasser und kommt und speit es ihm nach. Der Drache wird durch das Wasser aufgestört, er kommt heraus, und der Hirsch verschlingt ihn.
So hat auch der Herr Jesus Christus den grossen Drachen, den Teufel, (fol. 17v)   bis in die Tiefen der Erde verfolgt und hat ihn, indem er Blut und Wasser aus seiner Seite ergoss [Joh. 19,34], vertrieben durch das Bad der Wiedergeburt [Tit. 3,5], und hat die Werke des Teufels hinweg genommen.
 

Von der Natur des Tieres, das Salamander genannt wird

Wenn dieser in einen Feuerofen hineingeht, so verlöscht das Feuer, oder wenn er in ein Bad hineingeht, so wird das ganze Bad kalt.
So war es mit dem Körper der drei Jünglinge, die das Feuer nicht versehrte, sondern vielmehr ihre Widersacher berührte, da Christus sie im Feuerofen mit seiner Kraft stärkte [Daniel 3,19.30].
 

(fol. 18r)   Vom Baume, der Peredexion genannt wird.

Dieser Baum ist in Indien, seine Früchte sind sehr süss und überaus wohlschmeckend. Die Tauben aber ergötzen sich gar sehr an seinen Früchten und wohnen in seinen Zweigen. Der Drache ist der Tauben Feind, und der Drache scheut sich, dem Baume sich zu nähern.
Wenn nun der Schatten des Baumes nach Osten fällt, so flieht der Drache nach Westen; wenn aber der Schatten nach Westen kommt, so flieht der Drache nach Osten. Wenn jedoch eine Taube sich zufällig sehen lässt [ausserhalb des Baumes bzw. seines Schattens], so tötet sie der Drache.
Diesem Baume setzen wir den Heiland gleich, welcher ist der Baum des Lebens allen, die an ihn glauben; in seinem Schatten ist alles Verdienst, und es ruft der Apostel und sagt: Es sei aber ferne, mich zu rühmen, denn allein von dem Kreuze unseres Herrn, durch welchen mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt [Galater 6,14]. [zum „lignum vitae“ = Lebensbaum“ vgl. Sprüche Salomonis 3,18; 11,30; 13,12; 15,4, und Offenbarung 2,7; 22,2; 22,14. Das Himmelreich als Baum, in welchem die Vögel wohnen, auch im Gleichnis vom Senfkorn (vgl. Matth. 13,32; Markus 4,32; Lukas 13,19). – „lignum“ ist im Neuen Testament auch das Holz des Kreuzes Jesu Christi, bzw. einfach „das Kreuz“.]
 

Vom Tiere, das Antilope genannt wird

Das ist ein so überaus hitziges Tier, dass die Jäger ihm nicht beikommen. Es besitzt nämlich lange Hörner, (fol. 18v)   welche die Form einer Säge haben, so dass sie grosse Bäume durchschneiden und zu Boden werfen können. Wenn sie nun Durst hat, kommt sie zum Flusse; da sind aber die dünnen Zweige des Ulex [Stechginster], und wenn sie zum Spiele darübergeht, verfängt sie sich mit den Hörnern und wird an den Zweigen des Ulex festgehalten, so als ob sie in ein Netz verstrickt würde, und schreit brüllend und will entfliehen. Sobald aber der Jäger sie hört, kommt er und tötet sie.
So auch du, Mensch: Bewahre die beiden Testamente, das neue und das alte, welche dir zum Heile deiner Seele gegeben sind [Textlücke; es wäre etwa zu ergänzen: „und hüte dich vor den Lastern…“], das heisst Habsucht, Schwelgerei und aller Prunk dieser Welt, dass du ihnen nicht verfallest.
 

Von der Natur des riesigen Fischs, der „Säge“ genannt wird

Dieser Fisch hat sehr lange Flügel. Wenn er Schiffe durchs Meer fahren sieht, ahmt er sie nach, möchte mithalten und erhebt die Flügel und wetteifert mit den Seefahrern. Wenn er aber dreissig oder vierzig Stadien [1 Stadium = ca 200 Meter] gelaufen ist, ermüdet er und faltet seine Flügel zusammen, und die Fluten tragen ihn zurück an den Ort, wo er vorher gewesen ist.
(fol. 19r)   Das Meer ist die Welt, das Schiff die heilige Kirche, in welcher die Völker Gottes sind; dieser Fisch aber ist der Teufel, der sich verwandelt wir in einen Engel des Lichts [2. Kor. 11,14], damit er die sorglosen Seelen desto leichter irre leiten könne. [im griechischen Physiologus und in den andern lateinischen Fassungen lautet die Auslegung: Der Sägefisch ist gleich einem Menschen, der eine Zeitlang um die Gottseligkeit bemüht ist, sich dann aber in die alte Weltlichkeit zurück sinken lässt.]
 

Vom Elefanten und der Mandragora

Er hat keine Begierde nach Begattung; wenn sie sich vereinigen wollen, so wandeln sie über den Paradiesfluss und finden da die Mandragora [vgl. 1. Mose 30,14-16; Luther übersetzt „Liebesapfel“, die Zürcher Bibel „Alraune“.], und er geht mit dem Weibchen hin. Nun nimmt das Weibchen von der Mandragora und steht vor das Männchen und spielt mit ihm, bis dass es (davon) frisst. Und wenn das Männchen gefressen hat, (fol. 19v)   vereinigt es sich mit dem Weibchen, und dieses empfängt.
Wenn nun die Zeit gekommen ist, dass es gebären sollte, geht es in einen Wassertümpel hinein und macht es so, dass ihm das Wasser an die Zitzen reicht, und wirft das Junge so, dass es, auf dem Wasser schwimmend, das Euter der Mutter ganz nahe hat [hier wird offenbarschon die Eigenart des Elefanten , dass er keine Kniegelenke habe und deshalb nicht sich niederlegen (bzw. wieder aufstehen) könne, stillschweigend vorausgesetzt; jedenfalls spielt dieser seltsame Mangel in der folgenden Elefantengeschichte eine wesentliche Rolle.]
Die Schlange aber ist dem Elefanten feindlich, weil er sie mit seinen Füssen zerstampft.

(fol. 20r)…Die Natur des Elefanten ist solcher Art:
Wenn er gefallen ist, kann er nicht wieder aufstehen. Wenn er also schlafen will, lehnt er sich an einen Baum. Die Jäger aber, da sie ihn fangen wollen, schneiden sie einen weniger dicken Baum an, und sobald er kommt, um sich daran zu lehnen und zu schlafen, fällt er zusammen mit dem Baume nieder. Nun aber beginnt er laut zu rufen mit grossem Gebrüll, und da hört ihn ein anderer Elefant und kommt, um ihm zu helfen, kann ihn aber nicht aufrichten. Jetzt schreien sie beide, und es kommen andere [im griechischen Physiologus und in der lateinischen Version Y sind es zwölf Elefanten, entsprechend den zwölf Propheten] Hier wird offenbarschon die Eigenart des Elefanten , dass er keine Kniegelenke habe und deshalb nicht sich niederlegen (bzw. wieder aufstehen) könne, stillschweigend vorausgesetzt; jedenfalls spielt dieser seltsame Mangel in der folgenden Elefantengeschichte eine wesentliche Rolle., können ihn aber auch nicht aufrichten. Darauf schreien sie alle miteinander. Danach kommt ein kleiner Elefant und schiebt seinen Rüssel unter die Stosszähne und stellt ihn auf die Beine.
Wenn du nämlich ein Feuer von seinen Knochen anlegst, so kann da weder ein Drache noch ein Dämon durchdringen.
Danach verstehen wir unter den männlichen und weiblichen Elefanten das Bild von Adam und Eva. Denn solange sie im Paradiese waren, kannten sie keine Begierde nach Begattung. Da sie aber vom verbotenen Baume gegessen haben, sind sie aus dem Paradiese verstossen worden und sind in der Sünde gestorben. Es kam das Gesetz Mose, dich es richtete ihn [d.h. Adam] nicht auf.
Endlich kam Jesus, erniedrigte sich bis zum Tode [Philipper 2,8] und erhob Adam, der gefallen war.
 

(fol. 20v)   Vom Achat-Stein

Wenn die Arbeiter nach der Perle suchen, so finden sie diese durch den Achat. Sie lasen ihn an einer ziemlich dicken Schnur ins Meer hinab. Also kommt der Achat über die Perle und bleibt da. Sogleich folgen nun die Taucher dem Seil und finden die Perle.
Muschel wird genannt ein Fisch, der im Meere ist; dieser öffnet sein Maul und nimmt das Licht und die Strahlen der Sonne wie auch des Mondes auf und empfängt so die Perle.
Dem Achat also,, der die Perle findet, ist Johannes zu vergleichen: Er hat uns die kostbare Perle, den Herrn Jesus Christus gezeigt und von ihm gesagt: Siehe das Lamm Gottes, siehe den, der die Sünden der Welt trägt [Joh. 1,29]. Dies ist die wahre Perle; wenn du, Mensch, sie haben willst, so verkaufe dein Gut und gib es den Armen [Matth. 19,21], dann wirst du sie finden.
 

(fol. 21r)   Vom indischen Stein

Solche Eigenart hat dieser Stein: Wenn jemand wassersüchtig ist, so sucht der Heilkundige diesen Stein und bindet ihn dem Wassersüchtigen drei Stunden lang auf, und da saugt er alle kranken Gewässer des Wassersüchtigen auf. Dann löst er den Stein und legt ihn drei Stunden lang an die Sonne, und der Stein strömt alle Flüssigkeit, die er aufgenommen hat, wieder aus und wird sauber.
Diesem Steine wird der Herr Jesus Christus verglichen, der alle sündige Schwäche von uns genommen hat wie ein guter Arzt und uns an sich gezogen und alle Krankheit von uns weggetan hat [vgl. Matth. 8,17].
 

(fol. 21v)   Vom Hahnenruf

[dieses Kapitel ist dem „Exameron“ des Heiligen Ambrosius entnommen (5. Buch, 24. Kapitel, Abschnitte 88-89) ….]
Es ist auch lieblich der Hahnenruf in den Nächten, doch nicht nur lieblich, sondern auch nützlich, denn wie ein guter Hausgenosse weckt er den Schlafenden und ermahnt den Bekümmerten und tröstet den Wanderer, mit helltönenden Zeichen das Fortschreiten der Nacht verkündend.
Auf seinen Ruf lässt der Räuber von seinen Anschlägen. Durch ihn wird selbst der Morgenstern geweckt und geht auf und erhellt den Himmel. Auf seinen Ruf wirft der ängstliche Seemann seine Niedergeschlagenheit ab, und es legen sich Sturm und Ungewitter, die häufig durch die abendlichen Winde erregt werden. Auf seinen Ruf erhebt sich das fromme Gemüt zum Gebet und erneuert auch den Dienst der Lesung. Auf seinen Ruf endlich hat selbst der Hirte und Fels der Kirche [Petrus] die Schuld abgewaschen, die er durch Verleugnung begangen hatte, ehe der Hahn krähte [Matth. 26,69-75].
Durch seinen Ruf kehrt allen die Hoffnung wieder, lindert sich die Qual des Kranken, lässt den Schmerz der Wunden nach, mildert sich die Fieberhitze, wird Gestrauchelten der Glaube wiedergegeben.
Die Schwankenden sieht Jesus an, die Irrenden führt er auf den rechten Weg; danach blickte er Petrus an [Lukas 22,61], und sogleich wich die Verwirrung, ward die Verleugnung fortgetan, folgte das Bekenntnis. Dass dies nicht zufällig geschah, sondern aus dem Willen des Herrn, lehrt die Schriftlesung. Denn also, steht geschrieben, hat Jesus zu Simon gesagt: Der Hahn wird nicht krähen, ehe du mich dreimal verleugnen wirst [Matth. 26,34].
Wohl ist Petrus stark am Tage, doch in der Nacht lässt er sich verwirren und strauchelt und strauchelt dreimal vor dem Hahnenruf. (fol. 22r)   Daraus magst du erkennen, dass er nicht durch einen unbedachten Redeguss gefehlt hat, sondern vielmehr beirrt durch das Schwanken seines Geistes. Derselbe [Petrus] aber erstarkte nach dem Hahnenruf und ist nun würdig, dass Christus ihn ansehe – die Augen des Herrn auf den Gerechten [Psalm 34,16]. Er erkannte, dass das Heilmittel gekommen sei, nach welchem er nicht mehr fehlen könne, und wandte sich vom Irrtum zur Tugend und weinte bitterlich [Matth. 26,75], um durch seine Tränen den Irrtum abzuwaschen.
Siehe auch uns an, Herr Jesus Christus, damit auch wir unsere eigenen Fehler einsehen mögen! [hier endet der Physiologus-Text im Codex Gudianus lat. 148 zu Wolfenbüttel, und es beginnt das „Buch der Ungeheuer von verschiedenen Arten“.]
 

(fol. 22v).   [Vom Pferde]

Das Pferd wurde früher Wallach genannt deswegen, weil es beim Gehen durch den hineingedrückten Huf den Boden aushöhlt [diese Ableitung (Etymologie) von „cabo“ Wallach auch „cavare“ aushöhlen ist eigentlich unübersetzbar ], was die übrigen Tiere nicht haben. Danach auch Fusstöner, weil es mit den Füssen tönt.
Die Lebhaftigkeit der Pferde ist gross: Sie tummeln sich auf den Feldern; sie wittern den Krieg; sie werden durch den Trompetenschall zum Kampfe aufgestachelt und durch die Stimme der Ordonnanz zum Rennen angetrieben; sie leiden Schmerz, wenn sie besiegt worden sind, und freuen sich, wenn sie gesiegt haben. Etliche merken die Feinde im Kriege so gut, dass sie die Gegner mit Beissen anfallen.
Manche auch anerkennen nur ihre eigenen Herren und vergessen die Zahmheit, wenn sie vertauscht werden. Einige dulden ausser ihren Herren niemanden auf ihrem Rücken, viele vergiessen Tränen für ihre getöteten oder sterbenden Herren.
Denn nur das Pferd weint oder empfindet Schmerz um des Menschen willen. Daher ist auch in den Kentauren die Natur der Pferde und Menschen vermischt. [Das Kapitel über das Pferd findet sich nur in der Berner Handschrift dem Physiologus-Text angefügt. Es handelt sich um einen Abschnitt aus dem 1. Kapitel des XII. Buches der „Etymologien“ des Isidor von Sevilla (gest. 636). Diese umfassende Real-Enzyklopädie des spätantik-frühmittelalterlichen Wissensstoffes hat während Jahrhunderten als massgebendes Nachschlagewerk einen gewaltigen Einfluss ausgeübt.]